Thomas Ebke (Pötsdam) has written to us asking us to post the following call for papers (which is in German) for a conference in February of 2016 at the University of Pötsdam on the relationship between philosophical anthropology and the Frankfurt School. This is what Dr. Ebke writes:

As you may know, the dialogue between these two schools of thought was characterized, during the lives of the major protagonists, by mutual skepticism and a series of demarcations. This is all the more astonishing not only because Horkheimer and Adorno, for instance, had good professional relations with Helmuth Plessner who used to be implicated in sociological research projects monitored by the Insitut für Sozialforschung in the 1950s, but also because the problem of anthropological thought and a philosophy of human nature seems on closer inspection to be rather equivocal, especially in the case of Adorno.

Mensch und Gesellschaft zwischen Natur und Geschichte: Zum Verhältnis von Philosophischer Anthropologie und Kritischer Theorie

Eine Tagung am Institut für Philosophie der Universität Potsdam in Kooperation mit dem Institut für Philosophie der Freien Universität Berlin

Ort: Universität Potsdam, Institut für Philosophie

Zeit: 11.-13.02.2016

Das Tagungsprojekt versteht sich als ein Versuch, zwei zentrale Traditionen der deutschsprachigen Philosophie des 20. Jahrhunderts in ein Gespräch miteinander zu setzen: Zur Disposition steht der (ebenso auf Differenzen wie auf Komplementaritäten abhebende) Austausch zwischen der maßgeblich durch Max Horkheimer und Theodor W. Adorno geprägten „Kritischen Theorie“ und der „Philosophischen Anthropologie“ in Gestalt der Entwürfe Max Schelers, Helmuth Plessners und (zeitversetzt) Arnold Gehlens.

Kernfrage der Tagung

Zwei Anliegen verklammern das Tagungsvorhaben: Zum einen geht es um die Freilegung der systematischen Motive, die den historisch gesehen überaus prekären Kontakt dieser beiden Strömungen begründet haben. Die heuristische Perspektive der Tagung ist dabei auf eine Erinnerung und neuerliche Schärfung der Dissensmomente beider Theorietraditionen angelegt, allerdings so, dass zugleich die in ihrem historischen Gespräch verpassten bzw. unterschätzten Komplementaritäten in den Blick treten können. Insofern nimmt sich die Veranstaltung vor, die Auseinandersetzung in systematischer Absicht zu erneuern: Sie also auf einem Stand wiederaufzugreifen, der die Argumente der historischen Diskussion beider Strömungen (d.h. der 1950er und -60er Jahre) gerade nicht reproduziert, sondern aus ihrem historischen Kontext heraus sowie unter Berücksichtigung der neueren Forschung zu begreifen und neu zu bedenken versucht. Zum anderen lautet das Ziel des Tagungsprojekts, den Dialog zwischen Philosophischer Anthropologie und Kritischer Theorie exemplarisch unter einem gegenwartsrelevanten Problem engzuführen, auf das beide Denkungsarten je eigene Antworten generieren können: Eine solche gemeinsame Herausforderung besteht unseres Erachtens in dem Phänomen der Naturalisierungstendenzen der gegenwärtigen Lebenswissenschaften, die problematische Ursprünglichkeitsmytheme im Hinblick auf die vermeintliche Natur des Menschen ebenso mitführen wie einseitige Bestimmungen von der zukünftigen wissenschaftlich-technischen Einlösbarkeit der mit dieser Naturvorstellung verknüpften Glücksversprechen.

Während von der Kritischen Theorie her eine Analyse in Angriff genommen werden könnte, die auf die undurchschaute gesellschaftliche Vermitteltheit solcher herrschaftsförmiger Projektionen hinweist, ließe sich von Seiten der Philosophischen Anthropologie eine Kritik an der positivistischen Reduktion der anthropologisch komplexen „natürlichen Künstlichkeit” von lebendigen Personen ausarbeiten.

Hintergrund

Historisch bestand zwischen den Diskursen der Philosophischen Anthropologie und der Kritischen Theorie zweifellos ein Verhältnis wechselseitiger Ablehnung. Horkheimer („Bemerkungen zur philosophischen Anthropologie”, 1935) und Adorno („Soziologie und empirische Forschung“, in der “Festschrift für Helmuth Plessner”, 1957) stellte sich das Projekt der Philosophischen Anthropologie als eine neo-idealistische Metaphysik der menschlichen Natur dar, die fatalerweise in direkter Auswertung der biologischen Empirie universale Konstanten des Menschlichen abzusichern versuche. Dieser ungeschichtlichen Hypostase des bloß Gegebenen, die auch Habermas (vor allem im Rahmen seiner Auseinandersetzungen mit Gehlen) kritisierte, sei nun im Rahmen einer Gesellschaftstheorie die historische und soziale Bedingtheit des Menschen entgegenzuhalten: Worin gerade der Ansatz von Kritischer Theorie läge. Umgekehrt verhielt sich beispielsweise Helmuth Plessner wohl vor allem deshalb so reserviert gegenüber dem Selbstverständnis von Kritischer Theorie (siehe seinen Beitrag zu „Theodor W. Adorno zum 60. Geburtstag”, 1963), weil ihm darin eine Phänomenologie des Menschen als Lebewesen fehlte, die eine adäquate Beschreibung der „Verschränkung” (Plessner) zwischen natürlicher Verfasstheit und gesellschaftlich-kultureller Vermitteltheit menschlichen Lebens hätte leisten können.

Zumindest mit Blick auf die formativen Jahrzehnte der beiden Traditionen (die 1920er Jahre für die Philosophische Anthropologie, die 1930er Jahre im Fall der Kritischen Theorie) erscheint es daher triftig, die beiden Projekte als zwei weit auseinander liegende Versuche einer anti-metaphysischen Konkretisierung des Endlichen zu lesen. Während die Philosophische Anthropologie Schelers und Plessners eine phänomenologisch und hermeneutisch gehaltene Stufentheorie des Lebendigen vorsah, deren Pointe in der Herausstellung einer irreduziblen Differenz menschlichen Lebens lag, konstituierte sich die Kritische Theorie im kritischen Anschluss an Marx als eine materialistische Theorie der Gesellschaft, der es, nicht zuletzt in soziologischer Fokussierung, um den Aufweis des gesellschaftlichen Charakters von Natürlichem und Geschichtlichem ging.

Konzentriert man sich jedoch nicht allein auf die „Gründerjahre” der beiden fraglichen Theorieformen, sondern auf deren innertheoretische Dynamiken seit den 1950er und -60er Jahren, fallen in der Tat auf beiden Seiten inhaltlich ähnliche Interessen auf, die den deutlichen Antagonismus der „ersten Generation” zumindest relativieren. Bereits in den 1930er Jahren hatte Plessner („Macht und menschliche Natur”, „Verspätete Nation”) seine Philosophische Anthropologie um eine geschichtsphilosophische, gleichsam „horizontale” Achse erweitert, die zwar von der „vertikalen” Frage nach der Mensch-Tier-Differenz im Leben nicht abkoppelbar sein, jedoch durchaus die konkrete Erforschung soziokultureller Bildungen (im Sinne von Gesellschafts- und Gemeinschaftsgenesen) grundlegen sollte. Für die konzeptionelle Weiterentwicklung der Kritischen Theorie lässt sich hingegen von Ende der 1920er bis in die 1940er Jahre eine subkutane Präsenz anthropologischer Orientierungen und Motive konstatieren, in den kulturkritischen Einzelstudien Benjamins, Kracauers und Adornos ebenso wie in der prominenten, vorerst jedoch kryptisch bleibenden Anspielung auf das Thema einer „dialektischen Anthropologie” bei Horkheimer und Adorno am Ende des Vorwortes zur „Dialektik der Aufklärung”. Zu berücksichtigen wäre in diesem Zusammenhang auch, wie im Bereich der Kritischen Theorie Ende der 1960er Jahre ein kritischer philosophischer Anthropologiebegriff in den Projekten einer „Negativen Anthropologie” (U. Sonnemann) sowie eines „anthropologischen Materialismus” (A. Schmidt) ausgebildet wurde, teils parallel zu Herbert Marcuses Idee einer emanzipatorischen „neuen Sensibilität“.

Im Fall von Habermas lässt sich eine von Beginn an vorhandene, im Laufe der Zeit jedoch durch andere konzeptionelle Anschlüsse (Pragmatismus, Entwicklungspsychologie) überlagerte Auf- bzw. Übernahme zentraler Denkmotive der Philosophischen Anthropologie erkennen. Schon in dem frühen Artikel Anthropologie von 1958 war es ihm um eine Verarbeitung der Philosophischen Anthropologie zu tun: Insofern sie dort als eine kulturelle Vermittlungen aufzeigende Naturphilosophie eingeschätzt wurde, sollte sie eine Art Arbeitsteilung mit der Kritischen Theorie eingehen, die ihrerseits im Verhältnis zur Philosophischen Anthropologie in dem Maße die elaboriertere Theorie der Gesellschaft darstellte, als sie die Maßstäbe des Handelns nicht als naturgegeben voraussetzt, sondern diese vielmehr aus einer kritischen Bestandsaufnahme der geschichtlichen Entwicklung gewinnen sollte. Noch die “Theorie des kommunikativen Handelns” speist sich implizit aus Motiven der philosophisch-anthropologischen Denktradition. Und selbst aktuellere Arbeiten, in denen sich Habermas – wenn auch systematisch nicht hinreichend abgesichert – kritisch mit den Fortschritten der Biotechnologie auseinandersetzt (“Die Zukunft der menschlichen Natur”, 2001), verweisen auf das Fortwirken philosophisch-anthropologischer Argumentationsfiguren. Zeitlich versetzt und in einer gewissen Spannung zu Habermas wäre hier schließlich auch die detailliertere Rezeption der Philosophischen Anthropologie zu nennen, die ‒ vor allem im Anschluss an Thesen Gehlens und Plessners ‒ eine selbstreflexive Wissenschaft des sozialen Handelns anstrebt, die sich ihrer biologischen und normativen Gehalte gleichermaßen versichert (Honneth/Joas).[1] Der Tagung wird es darum gehen, diese historischen Konstellationen unter Würdigung der ihnen innewohnenden systematisch-theoretischen Differenzen zwischen Philosophischer Anthropologie und Kritischer Theorie, d.h. ihrer Eigenständigkeit gegeneinander zu erhellen. An Stelle einer eklektizistischen Vermittlung gilt das Interesse der Tagung einer erstmaligen umfassenden Konfrontation beider Traditionen, was die Akzentuierung neuer Berührungspunkte nicht ausschließt: Wäre etwa im Rahmen der Kritischen Theorie eine Position einnehmbar, welche die bei Horkheimer unverbrüchlich zusammengehenden Schritte einer konzeptionellen Ausschließung der Anthropologie und der Ausrichtung der Kritischen Theorie auf Ideologiekritik entflicht? Wie könnte sich der Zugriff der Kritischen Theorie auf das Projekt einer Philosophischen Anthropologie produktiv ändern, wenn diese weder als eine phänomenologische Ontologie des Lebens noch in der Logik einer lediglich ideologischen Verbrämung der Erfahrungswissenschaften bestimmt würde? Welchen Status hätten in diesem Gespräch die Konzepte der Verdinglichung und der Entfremdung: Bilden sie, etwa mit Blick auf Plessners provokant-affirmative Überlegungen zur Verdinglichung, eine unüberbrückbare Kluft oder eher, allem Anschein zum Trotz, einen Ansatzpunkt zur Herausarbeitung tieferliegender Gemeinsamkeiten zwischen Kritischer Theorie und Philosophischer Anthropologie? Was, wenn man von Marx her in der Philosophischen Anthropologie tatsächlich Figuren einer materialen Verankerung der Dialektik (als Formen „vermittelter Unmittelbarkeit” oder „bestimmter Negation”) rekonstruieren könnte, die gerade nicht die Fortführung, sondern die Kritik eines idealistischen Erbes wären? Umgekehrt: Wie verschöbe sich die Einschätzung von der vermeintlichen Lebensvergessenheit der Kritischen Theorie, wenn Adornos komplexe Semantik der Leiblichkeit oder gar sein Gedanke eines „Eingedenkens der Natur im Subjekt” konsequenter in den Blick der Philosophischen Anthropologie träten? Wie wäre in diesen Bahnen die ebenfalls von Adorno (etwa in „Die Idee der Naturgeschichte“) angeregte Überlegung zum Ineinanderumschlagen von geschichtlichem in naturhaftes Sein und von Geschichte in (Natur-) Ontologie zu kommentieren? Wie könnte Adornos und Horkheimers Hinweis auf die Möglichkeiten einer „dialektischen Anthropologie” im Rahmen der Philosophischen Anthropologie entfaltet werden? Und schließlich: Wie wäre ein „materialistisches” Denken für die Gegenwart zu schärfen, wenn es in der Spannung zwischen einer phänomenologisch-lebenstheoretischen Grundlagenreflexion und einer Kritik der gesellschaftlich überformten „zweiten Natur” Perspektiven konkreter Utopie entwickelt?

Struktur der Tagung

Das Tagungsprojekt gliedert sich in drei thematische Achsen: a) die Nachzeichnung der historischen Auseinandersetzung zwischen Philosophischer Anthropologie und Kritischer Theorie unter der Perspektive ihres Antagonismus in den formativen Jahren (1920er/1930er Jahre bei Adorno, Horkheimer, Plessner, später Gehlen); b) die Erfassung historischer Übergänge und Komplementaritäten seit den 1950er und -60er Jahren sowie die Erneuerung der paradigmatischen Differenz; c) die aktuelle Standortbestimmung beider Traditionen im Hinblick auf ihre untereinander kritischen oder komplementären Gehalte.

Teilnahmebedingungen

Die Ausschreibung wendet sich insbesondere an NachwuchskollegInnen (Doktoranden, Postdocs) aus den Disziplinen der Philosophie, Soziologie, Kulturtheorie usw., ist aber nicht auf diesen Adressatenkreis begrenzt. Vorschläge für Präsentationen sollten unmittelbaren Bezug zu den im call for papers skizzierten Frage- und Problemstellungen haben. Abstracts (1-1,5 Seiten) werden bis zum 20.05.2015 erbeten. Aus der Veranstaltung sollen Beiträge zum Internationalen Jahrbuch für Philosophische Anthropologie (2016) hervorgehen, die in für die Publikation ausgearbeiteter Form bis zum 31.05.2016 vorliegen müssen.

Wissenschaftliche Leitung

Prof. Dr. Hans-Peter Krüger (Universität Potsdam); Prof. Dr. Anne Eusterschulte (Freie Universität Berlin)

 

Organisation

Dr. Thomas Ebke (Universität Potsdam); Sebastian Edinger, M.A. (Universität Potsdam); Frank Müller, M.A. (Freie Universität Berlin); Roman Yos, M.A. (Universität Potsdam)

 

Abstracts sind einzusenden an eine der folgenden Adressen:

thomas.ebke@gmx.net                   f.mueller@fu-berlin.de
sebastian_edinger@web.de             yosroman@googlemail.com

 

 

 

[1] Die Initiativen von Honneth und Joas seit den 1980er Jahren sind, was die kritische Inkorporation der Philosophischen Anthropologie in ihre eigenen Projekte betrifft, nicht unmittelbar zu rubrizieren, insofern sie keiner diskursiven Zugehörigkeit zu einer „Schule“ entsprungen sind. Vielmehr ist an der (je verschieden ausgestalteten) Verarbeitung der Philosophischen Anthropologie bei diesen beiden Autoren eine ebenso erhellende wie produktive Verschiebung ablesbar: Eine Transformation, die den Unterschied zwischen der spezifischen forschungsstrategischen Konstellation um 1980, worin die Positionen Schelers, Plessners und Gehlens wichtige Rollen spielten, und den Veränderungen des Diskussionsraums, die seither stattgefunden haben, zeigt. Während Joas, dessen Beiträge sich nicht dem Kontext der Frankfurter Schule zurechnen lassen, die Philosophische Anthropologie tendenziell als ein Schlüssel zur Überwindung bestimmter Dichotomien (z.B. des Empirischen und des Normativen) fruchtbar gemacht hat, um einen Weg der „affirmativen Genealogie“ (der „Sakralität der Person“) einzuschlagen, könnte man Honneths Rekurs auf die Philosophische Anthropologie im Zuge einer Überfragung kanonischer Gehalte der zweiten Generation der Kritischen Theorie situieren: In Honneths Fall etwa einer Emendation des idealistischen Postulats einer kommunikativen Rationalität bei Habermas durch eine sich aus Hegel und Dewey speisende Theorie der Anerkennung. Bemerkenswert gerade an Honneths Denkweg wäre, so gesehen, eine Dynamik, die von der Peripherie des kritisch-theoretischen Projekts aus Paradigmenwechsel in deren Zentrum ermöglicht hat.